Allgemein

Der Beckenboden des Mannes

Terra incognita – der Beckenboden des Mannes

Lässiger Typ mit Sonnenbrille blickt freundlich in die Kamera und hat sicher keine Ahnung von seinem Beckenboden

Vorab gleich die kurzen Antworten auf die häufigsten Fragen zum Beckenboden des Mannes:

„Haben Männer auch einen Beckenboden?“ – „Ja!“

„Haben Männer Probleme mit dem Beckenboden?“ – „Ja, aber oft andere als Frauen“

„Ist ein starker Beckenboden gut für den Sex?“ – „Aber hallo!“

„Wie trainiert man als Mann seinen Beckenboden?“ – „Nicht durch Po-Kneifen…“

Und jetzt folgen die etwas ausführlicheren Antworten.

Der Beckenboden des Mannes ist stärker!

Die Grundstruktur der Muskulatur, des Bindegewebes und der Beckenknochen ist beim Mann vollständig analog zur weiblichen Anatomie. Das gilt selbst für den Musculus bulbospongiosus – der beim Mann den Harnröhrenschwellkörper umgibt  und bei der Frau in zwei Strängen rechts und links der Vagina verläuft.

Die weiteren Unterschiede liegen im Detail, aber haben es teilweise in sich. Kurz gesagt, ist der männliche Beckenboden viel stabiler als der weibliche. Was alles damit zusammenhängt, dass die Frauen die Kinder bekommen. Die Grafiken unten muss ich nicht beschriften, oder?

Grafik eines weiblichen knöchernen Beckens Grafik eines männlichen knöchernen Beckens

  • Der Knochenbau des männlichen Beckens ist „besser“. Seit der Erfindung des aufrechten Ganges vor einigen Millionen Jahren hat die Evolution am menschlichen Becken ordentlich gebastelt. Allerdings am männlichen und weiblichen Becken unterschiedlich: Das weibliche Becken wurde breiter und ausladender, die Öffnung unten groß und rund. Ganz einfach deshalb, weil jede Frau, die ein zu schmales Becken hatte, bei der Geburt samt ihrem Baby gestorben ist… Und die Köpfchen unserer Neugeborenen wurden im Laufe der Menschheitsgeschichte immer größer! Das knöcherne Männerbecken hingegen konnte schmäler werden, der Beckenausgang kleiner – statisch optimiert auf Gehen, Laufen und auch schwere Arbeiten.
  • Der Beckenboden des Mannes ist mit kräftigerer Muskulatur ausgestattet: durch den schmäleren Beckenausgang ist grade die mittlere Schicht kürzer und damit stabiler, eine Öffnung weniger ist natürlich auch ein baulicher Vorteil und die Muskeln sind einfach dicker, weil sich da ja kein Kind irgendwie durchquetschen können muss.
  • Der gesamte Urogenitaltrakt beim Menschen besitzt außergewöhnlich viele Hormonrezeptoren. Dabei führt Testosteron beim Beckenboden des Mannes zum verstärkten Muskelaufbau, Östrogen hingegen hat vielfältige Wirkungen auf die Muskulatur und das Bindegewebe der Frau, die man als „nährend“ beschreiben kann, aber nicht so sehr im Sinne von Muskelzuwachs. Klarer Vorteil an Stärke für die männliche Beckenbodenmuskulatur.

Fazit: Männer sollten die Getränkekisten schleppen!

Die Probleme des männlichen Beckenbodens

Nur sollte Stärke immer gepaart sein mit Flexibilität und der Fähigkeit zu entspannen – denn nur so kann sich die Muskulatur gut regenerieren. Und daran hapert es bei vielen Männern. Muskulatur und Bindegewebe ihrer Körperbasis sind tendenziell zu stark angespannt und in Folge zu fest, steif, unbeweglich.
Die daraus entstehenden Probleme würde man allerdings selten dem Beckenboden des Mannes zuschreiben: Kreuzschmerzen, ischiasartige Schmerzen (Piriformissyndrom), unspezifischer Beckenschmerz, Potenzprobleme können ihre Ursache in dieser Verspannung haben. Es wird auch ein Zusammenhang zur chronisch abakteriellen Prostatitis vermutet.

Laut einem deutschen Gesundheitsurvey leiden 6 % aller Männer an Unterleibsschmerzen! Zitat aus einem medizinischen Fachvortrag: „Ein überaktiver Beckenboden kann chronische Unterleibsschmerzen verursachen und den Harnfluss beeinträchtigen. Der Unterleib ist verspannt, Erektionsstörungen folgen den Problemen beim Wasserlassen.“ (Ganzer Artikel zum Nachlesen)

Tja, dann entspannen Sie mal Ihren Beckenboden. Wenn das so einfach wäre! Diese Muskulatur ist Teil der Tiefenmuskulatur des Körpers, die im Prinzip reflektorisch funktioniert, und deshalb ist sie in unserem Gehirn nicht so aktiv „verdrahtet“. Es ist normal, dass wir sie nicht richtig spüren. Wir müssen – Frauen genauso wie Männer – den Beckenboden erst „lernen“, bevor wir ihn wirksam trainieren und damit auch entspannen können, falls er zu verkrampft ist.

Diesen wichtigen Schritt würden die meisten gerne umgehen und gleich richtig Gas geben. „Wahrnehmungsübungen? Hinspüren?“ Was soll das denn bringen! Ganz einfach: Qualität, Präzision und bessere Ergebnisse.

Die liebe Prostata – Problemzone des Mannes

Zwei klar abgegrenzte Krankheitsbilder gibt es hier: Die gutartige Prostata-Vergrößerung (Prostata-Adenom) und der (bösartige) Prostata-Krebs.

  • Die Ursache des Adenoms ist, dass sich die Zellen vor allem in der Nähe der Harnröhre verdicken und den Urinfluß behindern. Die Folgen sind vielen Männern nur zu bekannt, da dieses Krankheitsbild sehr verbreitet ist, vor allem ab dem mittleren Alter: Nachtröpfeln, schwacher und unterbrochener Harnstrahl, Pressen beim Wasserlassen, Restharngefühl.
    Wichtig zu Wissen: Hier hilft Training gar nichts! Denn die Probleme haben nichts mit der Muskulatur des Beckenbodens des Mannes zu tun. Männer, die Angst vor der OP haben, würden gerne stattdessen ein Training machen, aber die muss man als TherapeutIn zurück zum Urologen schicken.
  • Beim Prostata-Krebs wuchern Zellen unkontrolliert gerne erst im Außenbereich der Prostata und verursachen daher oft im Anfangsstadium keinerlei Probleme beim Wasserlassen. Nach operativer Entfernung der Prostata kommt es nicht selten zu Inkontinenz, weil der komplexe Blasenverschluss erheblich gestört worden ist. Hier hilft ein Beckenbodentraining in den meisten Fällen sehr gut, dieses sehr belastende Sympton zu bessern oder ganz zu beseitigen.

Na, und das wichtigste – die Potenz, oder?

Viele Männer verbinden ihr Gefühl von Männlichkeit mit ihrer Fähigkeit einen richtig harten Steifen zu bekommen, und das möglichst oft, zuverlässig und bis sie 90 sind. Ach ja, und groß muss der Penis natürlich auch sein.

Für guten Sex sollte das Becken des Mannes beweglich seinDoch gute Sexualiät ist viel facettenreicher und der Beckenboden spielt dabei eine überaus wichtige Rolle – allerdings kann man als Mann wie als Frau ein durchaus befriedigendes Sexualleben führen, ohne die geringste Ahnung von dieser Muskulatur zu haben. Da hat die Natur für uns eine Vollautomatik eingerichtet. Aber erstens macht es mit aktivem Beckenboden noch mehr Spaß, und zweitens klappt es ja nicht immer so wie gewünscht mit dem Sex. Dann ist das Know-How rund um den Beckenboden Gold wert.

Interessant ist, dass bei beiden Geschlechtern sowohl ein zuviel als auch ein zuwenig an Kraft und Spannung zu Einschränkungen führen kann. Herrscht doch im Allgemeinen die Ansicht vor, dass man denn Beckenboden immer stärken muss für besseren Sex. Das stimmt nicht.

Bei der Frau kann die Vagina nach einer Geburt zu weit sein, was dann aus Männersicht zum „Lost penis Syndrom“ führt. Umgekehrt sorgt beim Vaginismus zuviel Spannung dafür, dass Geschlechtsverkehr unmöglich ist. In beiden Fällen bringt ein individuell angepasstes Beckenbodentraining oft Verbesserungen.

Beim Mann ist die vorzeitige Ejakulation meist durch einen völlig verkrampften Beckenboden mitverursacht. Wahrnehmungsübungen in Kombination mit einem Verhaltenstraining sind hier die beste Vorgehensweise. Erektionsstörungen können auf einen zu schwachen oder auf einen verspannten Beckenboden zurückzuführen sein. Wichtig zu wissen: der Einstrom des Blutes in die Penisschwellkörper wird parasympathisch gesteuert. Das bedeutet einfach gesagt: In der Ruhe liegt die Kraft! Nicht mehr Spannung, mehr Anstrengung, mehr Pumpen und Pressen führt zu einer verbesserten Erektion, sondern Gelassenheit und präzise Wahrnehmung in Verbindung mit kraftvoller Aktivierung des Beckenbodens.

Für besseren Sex lohnt sich ein Training allemal. Selbst wenn es keine Probleme gibt, außer dass das Liebesspiel über die Jahre ein wenig langweilig geworden ist. Denn man kann den Beckenboden nicht nur für den Sex trainieren, sondern ihn auch aktiv dabei einsetzen. Und dann wird es richtig spannend…
In meinem Artikel Beckenboden im Sex habe ich ein wenig darüber geschrieben.

Den Beckenboden des Mannes trainieren

Präzision ist das Zauberwort! 
Eben nicht da unten alles auf Verdacht so fest zusammenkneifen wie möglich. Es ist schwer zu glauben, wie „klein“ eine korrekte Beckenbodenkontraktion ist. Was ich von fast jeder Patientin und jedem Patienten höre, wenn ich ihnen manuelles Feedback gebe, was die präzise Anspannung ist: „So wenig?!“ Der Beckenboden ist eben kein mächtiges Muskelpaket wie der Po oder die Oberschenkel und deswegen fühlt es sich nach wenig an, wenn man es richtig macht. Dies ist aber wesentlich wirksamer als die unkontrollierte Massenanspannung aller umliegender Muskulatur da unten. Das ist, wie die größte Kanone auf einen Spatz zu richten…

Die einfachste Kurzanleitung für eine wirklich präzise Aktivierung des Beckenbodens ist folgende: Rollen Sie ein kleines Gästehandtuch von einer Schmalseite her zu einer Rolle zusammen und setzen Sie sich rittlings drauf. Der Stuhl sollte eine harte, gerade Sitzfläche haben, auf der Sie Ihre Sitzhöcker gut spüren und Sie sitzen auf der vorderen Hälfte des Stuhles. Versuchen Sie jetzt, das Handtuch mit den Sitzhöckern zu „greifen“, ohne, dass man von außen die geringste Bewegung Ihres Körpers sieht! Das gelingt am besten, wenn man so sitzt, dass man sich in einem Spiegel kontrollieren kann. Ja, „so wenig“ ist richtig.

Übung für den Beckenboden des Mannes im SitzenAuf diese präzise Aktivierung des Beckenbodens kann man dann einfache Kraftübungen aufbauen. Diese helfen bei Beckenbodenschwäche nach Prostata-Resektion oft schon sehr gut, aber für besseren Sex und gegen alle möglichen Schmerzzustände ist noch etwas anderes unabdingbar: die Beweglichkeit 
des Beckens. Wenn sich ein Mann normal so bewegt, als ob er gerade aus einem Gipskorsett aufgestanden wäre, dann hat die Muskulatur kaum eine Chance, vernünftig trainiert zu werden. Die vielfach beschriebenen isometrischen Kneif- und Anspannübungen bewirken im besten Fall Muskelzuwachs. Dies kann bei älteren Männern und nach Prostataentfernung sinnvoll sein, aber häufig ist die Dicke der Muskulatur gar nicht der Engpass. Muskulatur will physiologisch trainiert werden, dann ist sie leistungsfähig und flexibel. Das Becken in Bewegung zu bringen wirkt sich vorteilhaft auch Rücken und Körperhaltung aus. Und Dehnungen sind oft erstaunlich wirkungsvoll gegen Schmerzen.

Übung im Liegen, um den Beckenboden des Mannes zu stärken und zu entspannenEntspannen lernen
? Wie soll man etwas entspannen, von dem man gar nicht spürt, dass es angespannt ist? Das ist oft der schwierigste Teil des Trainings und am ehesten in Einzelarbeit zu erreichen. Es ist immer wieder eine Freude zu erleben, wie über die Entspannung die Kraft im Beckenboden des Mannes entsteht. Eigentlich logisch, denn ein dauernd verkrampfter Muskel wird nicht gut durchblutet. Wer loslassen kann, trainiert wirkungsvoller und angenehmer.

Die beiden Trainingsbilder stammen übrigens aus einem Artikel, den ich zusammen mit einer Kollegin für den Seniorenratgeber geschrieben habe:

Mehr Kraft von unten

Ein Artikel über Blasenschwäche beim Mann mit Übungsanleitungen, fachkundig betreut von Karin Schlee und Irene Lang-Reeves. PDF

„Ja, ich will meinen Beckenboden wirksam trainieren“

Wenn Sie sich von diesem Artikel und der Vorgehensweise angesprochen fühlen, dann kann ich Ihnen Einzelarbeit anbieten – entweder live oder als Onlinetraining.

Spezielle Trainingsvideos um den Beckenboden des Mannes zu stärken sind in Vorbereitung (ich suche noch nach einem geeigneten „Model“). Die meisten meiner Videos mit Frauen eignen sich aber auch wunderbar für Männer.

Dieses hier besonders – für Männer jeden Alters. Erleben Sie Ihren Beckenboden in dieser 10 – minütigen abwechslungsreichen Übungseinheit im Sitzen.