Beckenboden im Sex? Immer besser!
Jedes Mal, wenn ich ein Interview für eine Zeitschrift führe, kommt die unvermeidliche Frage danach, wie das denn mit dem Beckenboden im Sex ist? Der wird in diesem Zusammenhang oft und gerne „Liebesmuskel“ genannt. Zu dieser Frage kann man eine kurze Antwort geben: „Ja, Beckenbodentraining wirkt sich positiv aus“ und eine lange. Diese habe ich in einem Buch niedergeschrieben, das als E-Book erhältlich ist. Weil in Zeitschriften selten eine vernünftige Antwort möglich ist, gebe ich eine in mittlerer Länge hier.
Entdeckung einer heimliche Muskulatur
Zum Thema Beckenboden im Sex gibt es eine nette Anekdote: Dr. Arnold Kegel, ein amerikanischer Arzt, war der erste, der Frauen bereits in den Fünfziger-Jahren gegen Inkontinenz Übungen empfahl. Seine nach ihm benannten „Kegel-Übungen“ hatten offensichtlich positiven Nebenwirkungen. So machte eine ältere Dame ihm gegenüber folgende Bemerkung: „Herr Doktor, mein Mann und ich hätten uns gewünscht, diese Übungen schon vor 30 Jahren kennengelernt zu haben!“
Die positiven Auswirkungen des Beckenbodentrainings auf die Sexualität beruhen zum einen auf der verbesserten Durchblutung und der Kräftigung der Muskulatur. Vermutlich ist ein weiterer wichtiger Aspekt die Aufmerksamkeit, die durch die Übungen in die Genitalregion gelenkt wird. Denn mit vertiefter Wahrnehmung intensiviert sich auch die neuronale Verbindung zum Gehirn. Gerade bei Frauen, die ihren Unterleib wenig spüren oder viele negative Erfahrungen damit verbinden, kann dies der Sexualität bereits wertvolle Impulse geben.
Zuviel oder zu wenig?
Um eine Muskulatur zu trainieren, braucht es Anspannung und Entspannung. Letztere kommt grade in Bezug auf die Sexualität zu kurz. Frauen wie Männer strengen sich beim Liebemachen meist mächtig an, so als ob der Orgasmus Schwerstarbeit wäre. Da man den Beckenboden bewusst nicht spürt, merkt man auch nicht, wenn er verspannt ist. 7 % aller Männer haben laut eines Gesundheitssurveys chronische Schmerzen im Unterleib. Laut Urologen kann dies auf eine verspannte Beckenbodenmuskulatur zurückzuführen sein. Und bei Frauen kann der Wunsch, die Vagina möglichst eng zu machen, ebenfalls zu Schmerzen führen. Vaginismus kann unterschiedliche Ursachen haben, kurz gesagt, ist es eine Art Dauerkrampf der Muskulatur, der Sex unmöglich macht. Mehr Information zu dieser sehr quälenden Problematik finden sich auf der sehr hilfreichen Seite www.vaginismus-selbsthilfe.de
Will man seine Sexualität intensiver erleben, braucht es einen trainierten Beckenboden, der anspannen und entspannen kann. Beim Orgasmus kommt es zu unwillkürlichen, nicht steuerbaren schnellen Kontraktionen (das ist das, was sich so wahnsinnig gut anfühlt) der „orgastischen Manschette“. Da gehört der Beckenboden dazu, und ein gut trainierter und entspannter Muskel pulsiert einfach kräftiger.
Für beide Geschlechter sind also intensivere Orgasmen drin, und für Männer außerdem noch stabilere Erektionen. Gegen vorzeitige Ejakulation ist ein Training des Beckenbodens ebenfalls hilfreich, vermutlich aufgrund der verbesserten Wahrnehmung.
Also, gleich ran ans Üben, aber wie? Ich habe sogar Anleitungen für ein „Potenztraining“ gefunden, die aus markigen Sprüchen, Crunches und Po-Kneifen bestand.
Welche Übungen sind geeignet?
Dabei ist es relativ einfach – als Training eignen sich im Prinzip alle Beckenbodenübungen, die auch gegen Inkontinenz und Senkungen zum Einsatz kommen. Aber natürlich richtig ausgeführt. Die etwas antiquierten Kegel-Übungen selbst kann man ebenfalls in Anwendung bringen, allerdings bitte nur die ersten beiden:
Nummer 1, Beckenboden 3 Sekunden anspannen und 3 Sekunden loslassen und Nummer 2, den Beckenboden so schnell wie möglich anspannen und loslassen.
Nummer 3, das Aufzugfahren, führt oft zum ungesunden Pressen, und Nummer 4, das Pushing Out, ist vielleicht für Männer brauchbar, die einen verspannten Beckenboden haben, aber für Frauen mit Sicherheit schädlich.
Wichtig für eine positive Wirkung ist das präzise Anspannen des Beckenbodens (auch wenn ein knackiger Po für die Erotik ebenfalls einige Bedeutung hat…). Darauf, genau das zu vermitteln, habe ich in meinen Büchern viel Wert gelegt.
Anregungen können Sie sich hier auf meiner Website bei den Videos für Brigitte Woman holen oder als ausführliche Anleitung bei den BiB-Tipps. Wer meinen Newsletter abonniert, bekommt alle zwei Monate einen weiteren Trainingstipp kostenlos zugeschickt.
Den Beckenboden im Sex aktiv einsetzen
Darüber liest man viel Ungereimtes. Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Sowohl Männer als auch Frauen können den Beckenboden aktiv beim Liebesspiel einsetzen. Und das eröffnet völlig neue erotische Möglichkeiten! Allerdings nur, wenn sich beide darauf verständigen, dass man sich beim Sex auch etwas Zeit lassen und es entspannt angehen kann.
Wie bitte? Entspannen beim Sex? Das kommt doch danach und bis zum Höhepunkt steigert man die Erregung und die Anspannung ständig, oder?
Das ist die allgemein gängige Vorstellung eines gelungenen Sex-Aktes. Weitere, unhinterfragte Annahmen: Das Ziel, der Orgasmus, ist vor allem durch viel Reibung zu erreichen. Dazu muss der Penis möglichst steinhart sein und die Vagina möglichst eng.
Das mag bei jungen Menschen ganz gut klappen, aber für die reiferen Jahrgänge kann es anstrengend werden. Denn die Erektion des Mannes wird sanfter mit der Zeit, da der Testosteronspiegel sinkt. Und die Vagina der Frau wird weiter – nicht nur, aber auch bedingt durch Geburten. Das Paar kann sich jetzt Stress machen und versuchen, die jugendliche Sexualität mit aller Gewalt zu halten. Oder die beiden können sich von Ihrem aktiven Beckenboden helfen lassen, ihre Erotik weiter zu entwickeln und zu vertiefen.
Mit dem Liebesmuskel spielen
Wenn die Frau ihren Beckenboden im Sex aktiv anspannt, dann ist das für sie selbst sehr lustvoll. Und gleichzeitig für viele Männer stimulierender als eine einfach enge Vagina! Aber bitte nicht nur anspannen (bis zum Krampf), sondern auch wieder loslassen. Außerdem kann sie mit ihrer Muskulatur pulsieren, den Penis drücken, massieren, kneten, beknabbern… Durch sensible Bewegungen mit dem Becken lässt sich dieses Erlebnis für beide noch steigern. Damit ist nicht wildes Po-Kneifen und konvulsive Rumpfbewegungen gemeint, sondern eher sanfte, aber präzise Beckenbewegungen – Kippen und Kreisen. Also genau das, was man in einem guten Beckenbodentraining lernt.
Um bei dieser, für viele neuen Art der körperlichen Vereinigung spielerisch neue Qualitäten von erotischer Lust entdecken zu können, ist es hilfreich, wenn der Mann auch mal stillhält. Denn zum einen kann es für die Frau schmerzhaft sein, wenn sie den Beckenboden anspannt und sich bewegt, während der Mann ordentlich Tempo macht. Und zum anderen nimmt sich der Mann diesen spannenden Teil des Erlebens, von einer aktiven Vagina wirklich gemeint zu sein. Doch inne zu halten und quasi passiv zu genießen, entspricht für viele nicht dem klassischen Bild, das sie von sich beim Sex haben. Dahinter steht die bewusste oder unbewusste Riesenangst des Mannes: seine Erektion zu verlieren.
Hier kommt der Beckenboden ins Spiel. Denn der Einstrom des Blutes in die Schwellkörper des Penis kann sowohl unwillkürlich, z.B. durch visuelle Reize ausgelöst, als auch willkürlich erfolgen. Das besorgen aktiv die Musculi ischiocavernosi, die Teil der untersten Schicht des Beckenbodens sind. Manche Männer haben das für sich selbst schon entdeckt, dass sie ihren Penis sozusagen „aufpumpen“ können. Sie erreichen dies durch spezielle, präzise Kontraktionen da unten. Diese Männer sind oft in der Sexualität entspannt souverän, da sie wissen, wie sie ihre Erektion wiedergewinnen können, wenn sie zwischendurch nachlässt.
Sexuelle Lust für alle!
Es gibt viele gute Gründe für eine aktive und trainierte Muskulatur im Schritt. Den aktiven Beckenboden im Sex einzusetzen, ist sicher einer der schönsten!
Dies gilt für Frauen wie für Männer, in jedem Alter, homo- oder heterosexuell, ob als Paar oder als Single. Denn natürlich intensiviert sich auch die Selbstliebe und die sexuelle Ausstrahlung. Am schönsten ist der gemeinsame Weg eines Paares, das sich gut versteht und sich neue Wege der Sexualität aus der Routine heraus wünscht. Und manchmal muss einer der Partner zum gemeinsamen erotischen Glück erst ein wenig neugierig gemacht werden.
Ich wünsche viel Spaß beim Entdecken neuer Liebeswege!